Sale: 570 / Evening Sale, June 06. 2025 in Munich
Lot 125000173

125000173
Georg Baselitz
Apotheke - PiN, 2000.
Oil on canvas
Estimate:
€ 300,000 - 500,000
$ 315,000 - 525,000
Information on buyer's premium, taxation and resale right compensation will be available four weeks before the auction.
Apotheke - PiN. 2000.
Öl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert "28.V.2000" und betitelt. 250 x 200 cm (98,4 x 78,7 in). [JS].
• Entstehungsjahr 2000: Baselitz verankert sich rückblickend mit diesem Gemälde als einer der radikalen Erneuerer der Kunstgeschichte des abgeschlossenen 20. Jahrhunderts.
• "Apotheke – PiN": Verweis auf die zwei großen Erneuerer der Moderne – Marcel Duchamp ("Pharmacie", 1914) und Wassily Kandinsky ("Prinzip der inneren Notwendigkeit", 1912).
• 1953: Anspielung auf das für Baselitz' Schaffen richtungsgebende Frühwerk "Zwei Eichen" (1953/54).
• Der Wald auf dem Kopf: Inspiriert von der Malerei der Romantik gilt der Wald als das wichtigste Motiv in Baselitz' Oeuvre, über das er 1969 zu seiner charakteristischen, "kopfstehenden" Bildsprache findet.
• Maximierung der Verfremdungseffekte als Essenz von Baselitz' Kunstschaffen: auf dem Kopf, rätselhafter Titel, weiße Umrandung, Jahreszahl im Himmel und große, kreisrunde Auslassung im Zentrum der Malerei.
• Zuletzt würdigte u. a. die Fondation Beyeler, Basel (2019), das Centre Pompidou, Paris (2021/22), und der White Cube, London (2024), Baselitz' Schaffen mit großen Überblicksschauen.
Wir danken dem Archiv Georg Baselitz, München, für die freundliche Auskunft. Die Arbeit ist im Werk-Archiv des Künstlers registriert.
PROVENIENZ: Galerie Thaddeus Ropac, Salzburg.
Privatsammlung Süddeutschland (2001 vom Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).
AUSSTELLUNG: Georg Baselitz. Im Walde von Blainville. Malerei 1996-2000, Sammlung Essl - Kunst der Gegenwart, Wien/Klosterneuburg, 11.10.2000-28.1.2001, S. 68 (m. Abb. S. 69).
LITERATUR: Richard Calvocoressi, Georg Baselitz, London 2021, S. 317 (m. Abb.).
"Das Umdrehen des Bildes hat mir bewiesen, dass die Realität das Bild ist, ein auf den Kopf gestellter Gegenstand ist tauglich für die Malerei, weil er als Gegenstand untauglich ist."
Georg Baselitz
"Das Schiff mit einem Loch (Leck) geht unter [..], die Socke mit einem Loch verhüllt nicht mehr den Zeh, er schaut in die Freiheit, [..] in ein Luftloch fällt das Flugzeug [..], durch ein Loch (wieder Leck) in der Birne (Kopf) lässt man den Gedanken freien Lauf, [..] ein Loch im Bild lässt die Fantasie kreisen wie beim Loch in der Schallplatte, um das die Musik spielt."
Georg Baselitz, Imerpia, 15. August 2000
Öl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert "28.V.2000" und betitelt. 250 x 200 cm (98,4 x 78,7 in). [JS].
• Entstehungsjahr 2000: Baselitz verankert sich rückblickend mit diesem Gemälde als einer der radikalen Erneuerer der Kunstgeschichte des abgeschlossenen 20. Jahrhunderts.
• "Apotheke – PiN": Verweis auf die zwei großen Erneuerer der Moderne – Marcel Duchamp ("Pharmacie", 1914) und Wassily Kandinsky ("Prinzip der inneren Notwendigkeit", 1912).
• 1953: Anspielung auf das für Baselitz' Schaffen richtungsgebende Frühwerk "Zwei Eichen" (1953/54).
• Der Wald auf dem Kopf: Inspiriert von der Malerei der Romantik gilt der Wald als das wichtigste Motiv in Baselitz' Oeuvre, über das er 1969 zu seiner charakteristischen, "kopfstehenden" Bildsprache findet.
• Maximierung der Verfremdungseffekte als Essenz von Baselitz' Kunstschaffen: auf dem Kopf, rätselhafter Titel, weiße Umrandung, Jahreszahl im Himmel und große, kreisrunde Auslassung im Zentrum der Malerei.
• Zuletzt würdigte u. a. die Fondation Beyeler, Basel (2019), das Centre Pompidou, Paris (2021/22), und der White Cube, London (2024), Baselitz' Schaffen mit großen Überblicksschauen.
Wir danken dem Archiv Georg Baselitz, München, für die freundliche Auskunft. Die Arbeit ist im Werk-Archiv des Künstlers registriert.
PROVENIENZ: Galerie Thaddeus Ropac, Salzburg.
Privatsammlung Süddeutschland (2001 vom Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).
AUSSTELLUNG: Georg Baselitz. Im Walde von Blainville. Malerei 1996-2000, Sammlung Essl - Kunst der Gegenwart, Wien/Klosterneuburg, 11.10.2000-28.1.2001, S. 68 (m. Abb. S. 69).
LITERATUR: Richard Calvocoressi, Georg Baselitz, London 2021, S. 317 (m. Abb.).
"Das Umdrehen des Bildes hat mir bewiesen, dass die Realität das Bild ist, ein auf den Kopf gestellter Gegenstand ist tauglich für die Malerei, weil er als Gegenstand untauglich ist."
Georg Baselitz
"Das Schiff mit einem Loch (Leck) geht unter [..], die Socke mit einem Loch verhüllt nicht mehr den Zeh, er schaut in die Freiheit, [..] in ein Luftloch fällt das Flugzeug [..], durch ein Loch (wieder Leck) in der Birne (Kopf) lässt man den Gedanken freien Lauf, [..] ein Loch im Bild lässt die Fantasie kreisen wie beim Loch in der Schallplatte, um das die Musik spielt."
Georg Baselitz, Imerpia, 15. August 2000
Georg Baselitz – Malerei als Provokation
Im Zentrum ein weißer Fleck, eine zehn Zentimeter große, kreisrunde Auslassung in der monumentalen Darstellung zweier auf dem Kopf stehender, dicker Eichenstämme. Oben die Wurzeln, der Himmel am Boden, darin die groß aufgebrachte, geheimnisvolle Jahreszahl 1953 und dann ein spontan völlig unpassend erscheinender, von der Darstellung vollkommen emanzipierter Bildtitel "Apotheke – PiN". All das gibt dem Betrachter in unserer im Jahr 2000 entstandenen, kraftvollen Malerei ein spannendes Rätsel auf. Um dies als eine Art Essenz des Baselitz'schen Kunstschaffens zu entschlüsseln, gilt es zu verstehen, dass Baselitz' revolutionäre Malerei bereits seit den 1960er Jahren wie besessen nach der Kraft der ästhetischen Provokation sucht. Seine kraftvolle gegenständliche Malerei ist ein hemmungsloses Austesten von überkommenen Konventionen und Normen, ein bewusster Verstoß gegen festgelegte Kategorien, ein Kampf gegen traditionelle Sehgewohnheiten und Vorstellungen von Kunst. Dieses herausragende Schaffen hat Georg Baselitz zu einem der prominentesten Vertreter der deutschen Gegenwartskunst gemacht.
Mit einem ersten großen Skandal erreicht Baselitz im Jahr 1963 durch seine Ausstellung in der Galerie Werner & Katz in Berlin über Nacht Berühmtheit: Unter anderem das schockierende Gemälde "Der nackte Mann" (1962), das einen ausgezehrten, tot in einem grabähnlichen Loch liegenden männlichen Akt mit überdimensioniertem Penis zeigt, ist Auslöser dieses Skandals. Ein Werk, das sich sowohl auf die Tradition der Darstellungen des Leichnams Christi bezieht als auch auf die im Nachkriegsdeutschland verdrängten Todesbilder aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In der BZ ist am folgenden Tag zu lesen: "Es ist ein Skandal, wie es ihn seit Kriegsende auf diesem Gebiet in Berlin nicht gegeben hat."
1969 entsteht mit "Der Wald auf dem Kopf" (Museum Ludwig, Köln) das erste Gemälde, in welchem Baselitz das Motiv auf den Kopf stellt. Erneut provoziert Baselitz damit auf radikale Weise unsere tradierten Sehgewohnheiten und unsere Konventionen von Kunst und Wirklichkeit. Dieser mutige Schritt, der schließlich schnell zu Baselitz’ künstlerischem Markenzeichen wird, sichert ihm nicht nur fortan einen festen Platz in der Kunstgeschichte, sondern ist zugleich auch ein kraftvoller, malerischer Befreiungsakt. "Der Malakt selbst emanzipiert sich von der Darstellung, vom Abbildhaften und lässt die Werke gleichzeitig als gegenständlich und ungegenständlich erscheinen." (Zit. Toni Stoss, in: Georg Baselitz, Gemälde und Skulpturen 1960-2008, Köln/Salzburg 2009, S. 8) Auch für dieses Gemälde ist Gesehenes und damit die kunsthistorische Tradition wegbereitend, denn motivisch basiert "Der Wald auf dem Kopf" auf dem Gemälde "Wermsdorfer Wald" von Ferdinand von Rayski aus dem Jahr 1859 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Bereits in seinem noch in seiner ostdeutschen Heimat entstandenen Jugendwerk "Zwei Eichen" (1953/54) hat Baselitz sich mit der Malerei der Romantik auseinandergesetzt und in dieser noch traditionell ausgeführten Landschaftsdarstellung auf Carl Gustav Carus' berühmte "Eichen am Meer" (1834/35, Staatliche Kunstsammlungen Dresden) bezogen. Die groß aufgebrachte Jahreszahl "1953" in unserem monumentalen Eichen-Gemälde "Apotheke – PiN" verweist also auf dieses in Baselitz' ostdeutscher Heimat entstandene, motivgleiche Jugendwerk "Zwei Eichen" (1953/54).
Der Wald – Sinnbild deutscher Identität und verlorener Heimat
Trotz dieser reichhaltigen kunsthistorischen Inspirationsquellen aber bleibt der Wald das zentrale und prägendste Bildthema in Baselitz' Schaffen. In bedeutender Weise hat die Literatur und Kunst der Romantik eine tiefe Verbundenheit der deutschen Identität mit dem Wald geprägt. Im Katalog der Baselitz-Ausstellung in London 2007 wird hierzu etwa Elias Canetti zitiert: "In keiner modernen Nation der Welt ist der Geist der Identifikation mit dem Wald [Waldgefühl] so lebendig geblieben" (E. Canetti, zit. in: N. Rosenthal (Hrsg.), Georg Baselitz, Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts, London 2007, S. 121). Baselitz hat sich in seinem Werk nicht nur intensiv mit der deutschen Geschichte, der Frage der Identität und seiner eigenen Biografie auseinandergesetzt, sondern das Erbe der Kunstgeschichte darüber hinaus stets fest in sein Bilddenken eingebunden. Ferdinand von Rayskis Waldansichten und sächsische Landschaften, auf welche sich Baselitz 1969 mit seinem berühmten Gemälde "Der Wald auf dem Kopf" (Museum Ludwig, Köln) bezieht, repräsentieren aber nicht nur eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende naturalistische Bildtradition, sondern für Baselitz darüber hinaus Orte der eigenen Kindheit und damit ein bildgewordenes Gefühl von Heimat. In Rayskis Landschaften entdeckt Baselitz die Landschaft seiner ostdeutschen Kindheit wieder, die ihm seit seiner Übersiedlung nach West-Berlin nur wenige Jahre vor dem Bau der Mauer für mehr als 30 Jahre unzugänglich bleibt und doch als prägende visuelle Erinnerung weiter präsent ist. Auch Caspar David Friedrichs entgrenzte Seelenlandschaften sind deshalb für Baselitz' Malerei eine weitere, wichtige Inspirationsquelle, denn bereits Friedrich hat für seine Zeit geradezu visionär formuliert: "Eine Landschaft ist ein Seelenzustand. Der Mensch soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht." Dieses radikale Umdenken ist für Baselitz, dem es um die Landschaft seiner Erinnerung geht, von entscheidender Bedeutung und Grund für eine innovative lebenslange Auseinandersetzung mit dieser zutiefst emotional aufgeladenen Motivik. Die "kopfstehenden" Erinnerungslandschaften seiner sächsischen Heimat faszinieren durch ihre kraftvoll zwischen Realismus und Abstraktion oszillierende Bildsprache, die Baselitz in unserer monumentalen Waldlandschaft "Apotheke – PiN" mit zahlreichen kunsthistorischen Verweisen und ergänzenden Verfremdungseffekten, wie etwa der weißen, kreisförmigen Auslassung im Bildzentrum, um eine komplexe kunsttheoretische Reflexionsebene anreichert.
"Auf dem Kopf" und mehr – "Apotheke – PiN" und die maximale Emanzipation von der Realität
Durch seine kunsthistorisch epochale Entscheidung den Bildgegenstand "auf den Kopf" zu stellen, hat Baselitz den Malakt von der Darstellung emanzipiert. Mit der 180-Grad-Drehung erfindet Baselitz sein künstlerisches Markenzeichen, das fortan niemand zu kopieren wagt. Baselitz sagt dazu: "Die Regel dafür ist künstlich, aber ebenso wenig falsch wie die konventionellen Regeln. […] Denn kein Bild, kein Stück Papier auf dem Tisch hat von sich aus eine natürliche Himmelsrichtung oder ein Oben, Unten, Rechts oder Links. Das ist nur eine verabredete Form, eine Konvention. Und ich bin dahintergekommen, dass man durchaus Bilder machen kann, wenn man diese Verabredung widerspricht und die Motive rumdreht" (zit. nach: Jens Hinrichsen, Der Disharmoniker. Baselitz wird 85, in: Monopol, 21.1.2023). In der vorliegenden monumentalen Darstellung zweier Eichen führt Baselitz den Einsatz künstlerischer Verfremdungseffekte an ein Maximum, indem er die "auf dem Kopf" stehende Motivik noch um einen breiten, unbemalt stehengelassenen Leinwandrand und eine kreisrunde Auslassung im Zentrum der Malerei ergänzt, die einem Guckloch gleich den Blick auf den Bildträger, die weiße, unbemalte Leinwand frei gibt. Baselitz treibt auf diese Weise die Emanzipation des Malaktes auf die Spitze, indem er diesen als reine, von den seit der Renaissance bestehenden Zwängen einer illusionistischen Realitätswiedergabe emanzipiert, Malerei sichtbar macht. Mit dem irritierenden, scheinbar unpassenden Titel "Apotheke – PiN" verweist Baselitz darüber hinaus auf Marcel Duchamps zweites Readymade "Pharmacie (Apotheke)" aus dem Jahr 1914: eine Reproduktion einer gezeichneten Baumlandschaft, ein wertloses Massenprodukt, welches Duchamp lediglich durch die Ergänzung von zwei kleinen Farbtupfern in Gouache zum Kunstwerk erklärt. "Pharmacie (Apotheke)" gilt als Schlüsselwerk im avantgardistischen Schaffen Marcel Duchamps, des revolutionären Erneuerers des traditionellen Kunstbegriffs. Der Titelzusatz "PiN" birgt den Verweis auf einen weiteren kunsthistorisch bedeutenden Erneuerer der Moderne: auf Wassily Kandinsky und das in seiner berühmten kunsttheoretischen Schrift "Über das Geistige in der Kunst" (München 1912) formulierte "Prinzip der inneren Notwendigkeit". Nach Kandinskys Kunstauffassung sollte ein Kunstwerk keineswegs die äußere Realität abbilden, sondern die innere Welt des Künstlers widerspiegeln und diese durch Form und Farbe möglichst unmittelbar zum Ausdruck bringen. Baselitz' "Apotheke – PiN" vereint somit auf faszinierende Weise all das, was Baselitz' Malerei in entscheidender Weise auszeichnet. Irritierend und fesselnd gleicht diese in kraftvoll-befreiter Malerei ausgeführte, monumentale Waldlandschaft, aufgeladen mit diversen kunsthistorischen Verweisen, geradezu einem Manifest, es ist die gemalte Essenz von Baselitz' epochalem Kunstschaffen. [JS]
Im Zentrum ein weißer Fleck, eine zehn Zentimeter große, kreisrunde Auslassung in der monumentalen Darstellung zweier auf dem Kopf stehender, dicker Eichenstämme. Oben die Wurzeln, der Himmel am Boden, darin die groß aufgebrachte, geheimnisvolle Jahreszahl 1953 und dann ein spontan völlig unpassend erscheinender, von der Darstellung vollkommen emanzipierter Bildtitel "Apotheke – PiN". All das gibt dem Betrachter in unserer im Jahr 2000 entstandenen, kraftvollen Malerei ein spannendes Rätsel auf. Um dies als eine Art Essenz des Baselitz'schen Kunstschaffens zu entschlüsseln, gilt es zu verstehen, dass Baselitz' revolutionäre Malerei bereits seit den 1960er Jahren wie besessen nach der Kraft der ästhetischen Provokation sucht. Seine kraftvolle gegenständliche Malerei ist ein hemmungsloses Austesten von überkommenen Konventionen und Normen, ein bewusster Verstoß gegen festgelegte Kategorien, ein Kampf gegen traditionelle Sehgewohnheiten und Vorstellungen von Kunst. Dieses herausragende Schaffen hat Georg Baselitz zu einem der prominentesten Vertreter der deutschen Gegenwartskunst gemacht.
Mit einem ersten großen Skandal erreicht Baselitz im Jahr 1963 durch seine Ausstellung in der Galerie Werner & Katz in Berlin über Nacht Berühmtheit: Unter anderem das schockierende Gemälde "Der nackte Mann" (1962), das einen ausgezehrten, tot in einem grabähnlichen Loch liegenden männlichen Akt mit überdimensioniertem Penis zeigt, ist Auslöser dieses Skandals. Ein Werk, das sich sowohl auf die Tradition der Darstellungen des Leichnams Christi bezieht als auch auf die im Nachkriegsdeutschland verdrängten Todesbilder aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In der BZ ist am folgenden Tag zu lesen: "Es ist ein Skandal, wie es ihn seit Kriegsende auf diesem Gebiet in Berlin nicht gegeben hat."
1969 entsteht mit "Der Wald auf dem Kopf" (Museum Ludwig, Köln) das erste Gemälde, in welchem Baselitz das Motiv auf den Kopf stellt. Erneut provoziert Baselitz damit auf radikale Weise unsere tradierten Sehgewohnheiten und unsere Konventionen von Kunst und Wirklichkeit. Dieser mutige Schritt, der schließlich schnell zu Baselitz’ künstlerischem Markenzeichen wird, sichert ihm nicht nur fortan einen festen Platz in der Kunstgeschichte, sondern ist zugleich auch ein kraftvoller, malerischer Befreiungsakt. "Der Malakt selbst emanzipiert sich von der Darstellung, vom Abbildhaften und lässt die Werke gleichzeitig als gegenständlich und ungegenständlich erscheinen." (Zit. Toni Stoss, in: Georg Baselitz, Gemälde und Skulpturen 1960-2008, Köln/Salzburg 2009, S. 8) Auch für dieses Gemälde ist Gesehenes und damit die kunsthistorische Tradition wegbereitend, denn motivisch basiert "Der Wald auf dem Kopf" auf dem Gemälde "Wermsdorfer Wald" von Ferdinand von Rayski aus dem Jahr 1859 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Bereits in seinem noch in seiner ostdeutschen Heimat entstandenen Jugendwerk "Zwei Eichen" (1953/54) hat Baselitz sich mit der Malerei der Romantik auseinandergesetzt und in dieser noch traditionell ausgeführten Landschaftsdarstellung auf Carl Gustav Carus' berühmte "Eichen am Meer" (1834/35, Staatliche Kunstsammlungen Dresden) bezogen. Die groß aufgebrachte Jahreszahl "1953" in unserem monumentalen Eichen-Gemälde "Apotheke – PiN" verweist also auf dieses in Baselitz' ostdeutscher Heimat entstandene, motivgleiche Jugendwerk "Zwei Eichen" (1953/54).
Der Wald – Sinnbild deutscher Identität und verlorener Heimat
Trotz dieser reichhaltigen kunsthistorischen Inspirationsquellen aber bleibt der Wald das zentrale und prägendste Bildthema in Baselitz' Schaffen. In bedeutender Weise hat die Literatur und Kunst der Romantik eine tiefe Verbundenheit der deutschen Identität mit dem Wald geprägt. Im Katalog der Baselitz-Ausstellung in London 2007 wird hierzu etwa Elias Canetti zitiert: "In keiner modernen Nation der Welt ist der Geist der Identifikation mit dem Wald [Waldgefühl] so lebendig geblieben" (E. Canetti, zit. in: N. Rosenthal (Hrsg.), Georg Baselitz, Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts, London 2007, S. 121). Baselitz hat sich in seinem Werk nicht nur intensiv mit der deutschen Geschichte, der Frage der Identität und seiner eigenen Biografie auseinandergesetzt, sondern das Erbe der Kunstgeschichte darüber hinaus stets fest in sein Bilddenken eingebunden. Ferdinand von Rayskis Waldansichten und sächsische Landschaften, auf welche sich Baselitz 1969 mit seinem berühmten Gemälde "Der Wald auf dem Kopf" (Museum Ludwig, Köln) bezieht, repräsentieren aber nicht nur eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende naturalistische Bildtradition, sondern für Baselitz darüber hinaus Orte der eigenen Kindheit und damit ein bildgewordenes Gefühl von Heimat. In Rayskis Landschaften entdeckt Baselitz die Landschaft seiner ostdeutschen Kindheit wieder, die ihm seit seiner Übersiedlung nach West-Berlin nur wenige Jahre vor dem Bau der Mauer für mehr als 30 Jahre unzugänglich bleibt und doch als prägende visuelle Erinnerung weiter präsent ist. Auch Caspar David Friedrichs entgrenzte Seelenlandschaften sind deshalb für Baselitz' Malerei eine weitere, wichtige Inspirationsquelle, denn bereits Friedrich hat für seine Zeit geradezu visionär formuliert: "Eine Landschaft ist ein Seelenzustand. Der Mensch soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht." Dieses radikale Umdenken ist für Baselitz, dem es um die Landschaft seiner Erinnerung geht, von entscheidender Bedeutung und Grund für eine innovative lebenslange Auseinandersetzung mit dieser zutiefst emotional aufgeladenen Motivik. Die "kopfstehenden" Erinnerungslandschaften seiner sächsischen Heimat faszinieren durch ihre kraftvoll zwischen Realismus und Abstraktion oszillierende Bildsprache, die Baselitz in unserer monumentalen Waldlandschaft "Apotheke – PiN" mit zahlreichen kunsthistorischen Verweisen und ergänzenden Verfremdungseffekten, wie etwa der weißen, kreisförmigen Auslassung im Bildzentrum, um eine komplexe kunsttheoretische Reflexionsebene anreichert.
"Auf dem Kopf" und mehr – "Apotheke – PiN" und die maximale Emanzipation von der Realität
Durch seine kunsthistorisch epochale Entscheidung den Bildgegenstand "auf den Kopf" zu stellen, hat Baselitz den Malakt von der Darstellung emanzipiert. Mit der 180-Grad-Drehung erfindet Baselitz sein künstlerisches Markenzeichen, das fortan niemand zu kopieren wagt. Baselitz sagt dazu: "Die Regel dafür ist künstlich, aber ebenso wenig falsch wie die konventionellen Regeln. […] Denn kein Bild, kein Stück Papier auf dem Tisch hat von sich aus eine natürliche Himmelsrichtung oder ein Oben, Unten, Rechts oder Links. Das ist nur eine verabredete Form, eine Konvention. Und ich bin dahintergekommen, dass man durchaus Bilder machen kann, wenn man diese Verabredung widerspricht und die Motive rumdreht" (zit. nach: Jens Hinrichsen, Der Disharmoniker. Baselitz wird 85, in: Monopol, 21.1.2023). In der vorliegenden monumentalen Darstellung zweier Eichen führt Baselitz den Einsatz künstlerischer Verfremdungseffekte an ein Maximum, indem er die "auf dem Kopf" stehende Motivik noch um einen breiten, unbemalt stehengelassenen Leinwandrand und eine kreisrunde Auslassung im Zentrum der Malerei ergänzt, die einem Guckloch gleich den Blick auf den Bildträger, die weiße, unbemalte Leinwand frei gibt. Baselitz treibt auf diese Weise die Emanzipation des Malaktes auf die Spitze, indem er diesen als reine, von den seit der Renaissance bestehenden Zwängen einer illusionistischen Realitätswiedergabe emanzipiert, Malerei sichtbar macht. Mit dem irritierenden, scheinbar unpassenden Titel "Apotheke – PiN" verweist Baselitz darüber hinaus auf Marcel Duchamps zweites Readymade "Pharmacie (Apotheke)" aus dem Jahr 1914: eine Reproduktion einer gezeichneten Baumlandschaft, ein wertloses Massenprodukt, welches Duchamp lediglich durch die Ergänzung von zwei kleinen Farbtupfern in Gouache zum Kunstwerk erklärt. "Pharmacie (Apotheke)" gilt als Schlüsselwerk im avantgardistischen Schaffen Marcel Duchamps, des revolutionären Erneuerers des traditionellen Kunstbegriffs. Der Titelzusatz "PiN" birgt den Verweis auf einen weiteren kunsthistorisch bedeutenden Erneuerer der Moderne: auf Wassily Kandinsky und das in seiner berühmten kunsttheoretischen Schrift "Über das Geistige in der Kunst" (München 1912) formulierte "Prinzip der inneren Notwendigkeit". Nach Kandinskys Kunstauffassung sollte ein Kunstwerk keineswegs die äußere Realität abbilden, sondern die innere Welt des Künstlers widerspiegeln und diese durch Form und Farbe möglichst unmittelbar zum Ausdruck bringen. Baselitz' "Apotheke – PiN" vereint somit auf faszinierende Weise all das, was Baselitz' Malerei in entscheidender Weise auszeichnet. Irritierend und fesselnd gleicht diese in kraftvoll-befreiter Malerei ausgeführte, monumentale Waldlandschaft, aufgeladen mit diversen kunsthistorischen Verweisen, geradezu einem Manifest, es ist die gemalte Essenz von Baselitz' epochalem Kunstschaffen. [JS]
125000173
Georg Baselitz
Apotheke - PiN, 2000.
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Headquarters
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