Sale: 414 / Rare Books, May 19./20. 2014 in Hamburg Lot 395


395
Hermann Max Pechstein
Brief mit Zeichnung (28. Okt. 1939).
Estimate:
€ 4,000 / $ 4,400
Sold:
€ 4,080 / $ 4,488

(incl. surcharge)
Pechstein, Hermann Max, Maler und Graphiker, 1881-1955. Eigh. Brief m. U.Mit großer Federzeichnung . Berlin, 28. Oktober 1939. 3 S. 4to. (28,5 : 22 cm).

An Walter Minnich. Bedeutender, von persönlichen und nazideutschen Schicksalsschlägen berichtender Brief, der jedoch in großer Zuversicht endet. Die Aufbruch und Neuanfang vermittelnde Zeichnung zeigt einen jungen Mann in Badehose, der mit dynamischem Schritt den heranwogenden Meeresfluten entsteigt.
Pechstein hat eben durch ein Telegramm erfahren, daß sein Freund, der Astrophysiker Erwin Finlay-Freundlich (1885-1964), Gründer und Leiter des Einstein-Institutes in Potsdam, Deutschland verlassen muß und nach Istanbul emigriert. ".. Es wird mir immer weher ums Herz, und zugleich wird es immer einsamer. Die Freunde, welche ich nicht durch den Tod verloren, verliere ich jetzt durch die Lage. Mit doppelter Wucht stürzt jedesmal all dies unselige Geschehen auf mich herab, wenn ich nach Berlin zurückgekehrt, gezwungen werde, die Augen aufzumachen. Den lieben, schönen Sommer lang, mache ich es, wie Vogel Strauss, und stecke den Kopf in den Sand. So kann ich wenigstens arbeiten. Wie lange mir dies noch möglich sein wird, weiss ich nicht, denn schon vergangenes Jahr wirkten die einkommenden Mittel nicht aus, und dieses Jahr habe ich sage und schreibe einen Gesamtumsatz vom 684 M. und dabei für 7 Menschen zu sorgen, mit Einschluss meines 76 Jahre alten Vaters und der Schwester, welche ihn betreut. Da selten ein Unglück allein kommt, liegt auch noch mein letzter Bruder hier in Deutschland in seinen letzten Tagen, ein altes Kriegsleiden hat ihn noch zur Strecke gebracht. Nun habe ich nur noch den einen, welcher fern in U.S.A. lebt. Nun sind für mich immer die Banden der Familie Kraft gewesen, also fühle ich mich etwas gelähmt, wenn nun, wie es jetzt geschieht, die danach kommenden Bande der Freundschaft getrennt werden. Jeden Tag sage ich mir, Und die Sonne geht doch auf und scheint auf die Erde, allwo sich diese unsinnigen Menschen immer weiter zerfleischen. Gewiss, ich liebe mein Vaterland, habe es wohl bewiesen, aber warum soll ich es auf einmal weniger tun, bloss weil ich es nicht immer so laut, wie andere hinausschreie, eine Selbstverständlichkeit brauche ich doch nicht immer wieder betonen, und kann doch jeden anständigen Menschen andrer Art auch lieben, nach dem alten Christenwort: Liebet Euren Nächsten! Immer kämpfend, werde ich nun wohl auch einmal mein Leben beschliessen, man gewöhnt sich allmählig so daran, dass man in seiner Kunst mit Schmutz beworfen wird, und liebt sie darum um so inbrünstiger, denke ich beim Niederschreiben dieser Zeilen daran, so wird mir freier um das Herz, denn diese Liebe kann mir keine Macht der Erde nehmen. Wenn auch Zeiten der Sorge einen manchmal überschatten, das reine Glück mancher Schaffensstunde hebt himmelhoch dafür empor. Dann habe ich auch noch in dem Kleinen einen Jungbronnen, der älteste, Frank, ist jetzt auch hier in Berlin .."




395
Hermann Max Pechstein
Brief mit Zeichnung (28. Okt. 1939).
Estimate:
€ 4,000 / $ 4,400
Sold:
€ 4,080 / $ 4,488

(incl. surcharge)